"Christ in der Gegenwart" vom 22.07.2012

JANNIS HAGMANN am 8.2.2012 in der taz:

Umfangreiches Medienpaket
Der Dokumentarfilm über die Begegnungsreise steht im Mittelpunkt eines umfangreichen Medienpaketes...Die Geschichten beider Seiten wurden festgehalten in dem Schulbuch "Das Historische Narrativ des Anderen kennen lernen". Die TeilnehmerInnen der Begegnungsreise hatten es im Gepäck und diskutierten es intensiv, bevor sie sich auf den Weg nach Israel und Palästina machten. Das Besondere an dem Buch: Die linke Buchseite gibt das israelische Narrativ wider, auf der rechten Seite findet sich die palästinensische Perspektive. Was links als "Unabhängigkeitskrieg" bezeichnet wird, ist rechts "die Katastrophe von 1948, die das palästinensische Volk seiner Wurzeln und seiner Heimat beraubte". Die Fakten stimmen überein, die Interpretation könnte unterschiedlicher kaum sein.
Zusammenarbeit trotz Differenzen
Im Gegensatz zu dem Buch lässt der Film die verschiedenen Perspektiven nicht einfach nebeneinander stehen. Die Jugendlichen begegnen Menschen, die bewußt versuchen, die Perspektive der anderen Seite mitzudenken...

Barbara Hordych am 30.1.2012 in der Süddeutschen Zeitung:

...Um zu gewährleisten, dass tatsächlich beide Seiten mit ihren oft unvereinbaren Sichtweisen und Erfahrungen zu Wort kommen, gab es zwei unterschiedliche Begleiter: die Israelin Lotty Camerman, deren Eltern Überlebende des Holocaust sind und den Palästinenser AIi Abu Awwad, dessen Bruder von israelischen Soldaten auf der Straße erschossen wurde - und der selbst zehn Jahre lang als "Kämpfer gegen die Besatzer" in israelischen Gefängnissen saß. Heute arbeiten sie in einer Friedensorganisation zusammen, suchen Wege der Verständigung. Um den Jugendlichen bei der Verarbeitung ihrer Erlebnisse zu helfen, standen sie abends für
Gespräche zur Verfügung, halfen die aufwühlenden Begegnungen des Tages zu verarbeiten: Dazu gehörte die Begegnung mit der jüdischen Familie Shahak, die eine ihrer Töchter bei einem Selbstmordattentat in Tel Aviv verlor, genauso wie der Besuch bei einem palästinensischen Bauern, der sich unter dem Motto "Wir weigern uns Feinde zu sein" allein mit juristischen Mitteln der Gewalt jüdischer Siedler widersetzt...
"Ungewohnt war vor allem die palästinensische Sicht auf die Dinge", darin stimmen die Jugendlichen im Film überein. Denn durch die Medien werde eher die Perspektive der Israelis transportiert. Die öffentlichen Vorführungen von "Wir weigern uns Feinde zu sein" zeigen vor allem eins, wie Stefanie Landgraf bei den Premieren vor kurzem in Berlin und jetzt in München feststellen konnte: Warum ändert sich da nichts, warum treten die seit sechzig Jahren auf der Stelle? Diese Frage stellen die jungen Zuschauer sich am häufigsten. Ihr Film kann künftig helfen, das zu beantworten.

Arnold Schölzel am 24.01.2012 in der Tageszeitung:

Israel-Palästina. Eine Lehrfahrt
...kluge, sachliche Fragen und Aussagen (der zwölf deutschen Jugendlichen zwischen 16 und 22), die vor allem zeigen, wie sehr das Gesehene und Gehörte aufwühlt. Im Vordergrund des Films stehen: Monumente der Besatzungspolitik wie die Mauer zwischen Israel und Westjordanland, israelische Siedlungen im Westjordanland, Alltagsschikanen gegen Palästinenser, die Erinnerung an die Shoah, an Selbstmordattentate, vor allem aber die Berichte der Begleiter der Gruppe, der Israelin Lotty Camerman und des Palästinensers Ali Abu Awwad. Sie befürwortet die Armee Israels, er war jahrelang in Haft wegen Kampfes gegen die Besatzung. Beide engagieren sich für Verständigung... Alle in diesem Film
erzählen in größter Ruhe von Ungeheuerlichkeiten: jahrzehntelanger Kampf um einen Hof, den Siedler beanspruchen... Der Tod der eigenen Tochter in Tel Aviv beim Selbstmordattentat eines Palästinensers. Man erlebt rationales Verhalten in völlig irrationalen Verhältnissen. Eine Lehrfahrt.

Rupert Neudeck - 24.2.2012 in "Das Palästina Portal":

Ohne Feinde - ein Film, der ganz überzeugt:
Über Israel und über Palästina


Der Filmtitel ist "geklaut", aber dieser Diebstahl ist sehr angenehm, man sollte ihn öfter begehen im Israel - Palästina Streit. Das schönste Feld, auf dem man sich eine volle Übersicht über Klugheit und Barbarei israelischer und auch palästinensischer Politik machen kann, ist die zweite Station der beiden Filmemacher Stefanie Landgraf und Johannes Gulde auf ihrem Weg in das Land der unbegrenzten und wirklichen Unmöglichkeiten. Auf dem Weinberg Daher, mitten in der Zone C erzählt der junge Leiter des Begegnungsprojektes Tent of Nations, Daoud Nassar, der jungen lernbegierigen Gruppe von Jugendlichen, wie er der totalen Frustration entgeht, da er mittlerweile von illegal siedelnden Israelis in fünf Wehrdörfern rund um den Weinberg umgeben ist. Kein falsches Wort gegen ?die? Juden? kommt aus seinem Mund, im Gegenteil, er bemüht sich, die Anderen als Nachbarn zu verstehen...
Der Film hat eine ganz offene und nicht angreifbare Dramaturgie, für die allein er schon eine Auszeichnung verdienen würde. Das Filmteam begleitet zwölf Jugendliche im Alter von 16 bis 22 Jahren in die Region, durch Israel und das besetzte Westjordanland. Im Hintergrund hört man die wehmütige Mundharmonika des rumänischen Juden Reuven Moskowitz, der sich um Gerechtigkeit und Recht im besetzten Palästina schon lange bemüht. Sie begegnen ausgewiesenen Kennern der Szene, die zudem noch lebensgeschichtlich einiges aufzubringen haben. Die Gruppe, die oft und lang an der unsäglichen Mauer entlangfährt, wird von der Israelin Lotty Camerman aus Netanya begleitet, deren Eltern Überlebende des Holocaust sind. Lotty Camerman kann glaubwürdig nicht verstehen, weshalb Israel unbedingt ein monoethnischer nationalistischer Staat und damit kein demokratischer sein will. Der Gegenpol ebenso souverän und überzeugend, der immer noch junge Palästinenser Ali Abuawwad, dem die Besatzungsarmee seinen Bruder erschossen hat und der selbst als Kämpfer und Steinewerfer zehn (!) Jahre Haft in Israels Gefängnis bekam. Beide streiten für die Versöhnung und den Frieden, ohne dass sie dabei etwas unter den Teppich kehren müssen...
Sensibel zum Zerbersten die Sequenz, wenn das Filmteam und die Jugendlichen in das Wohnzimmer des Ehepaars Shahak "einbrechen", die ihre eigene Tochter bei einem Selbstmordattentat verloren haben und dennoch sich für den Frieden mit den Palästinensern und ihre Anerkennung als Nachbarn einsetzen.

Der Film, die Kameraführung, auch die leise Art von vorsichtiger Regie, der Schnitt bringt eine bewegende Lehrreise zustande. Die zwölf werden noch mal gefragt, was sie denn beeindruckt und bewegt hat und jeder hat für einen deutschen Jugendlichen Interessantes zu sagen. "Wir weigern uns Feinde zu sein", das Motto führt natürlich darauf hin, dass es in dem Konflikt nicht nur um ruhige und pädagogische Aufarbeitung geht, sondern immer mal wieder um Aktualität und Dringlichkeit... 
Der Film läßt in seiner Intensität keine Wünsche offen, er appelliert an das Herz und den Verstand aller Zuschauer, vor Ort und in deutscher Gesellschaft, alles zu tun, damit die Menschen sich dort wieder begegnen, sehen, sprechen, vielleicht auch mal zusammen arbeiten können.

Stefanie Landgraf/Johannes Gulde: Wir weigern uns Feinde zu sein.

Film 89 Minuten 2011 Premiere in Cineforum NRW in Köln am 7., März 2012 19.30 Uhr

erhard-arendt.de/deutsch/palestina/Stimmen_deutsch/rupert_neudeck_wir_weigern_uns_feinde_zu_sein.htm