Sierra Leone - Nur langsam heilen die Wunden des Krieges

Das „Trauma and Recovery Prgramm“ (TAR) von Caritas International

(44 Minuten)

Die 5jährige Salomy leidet unter den gleichen Angstsymptomen wie die Erwachsenen, obwohl sie den Grund dieser Angst, den Krieg, gar nicht selbst miterlebt hat. Ihre Eltern wurden bei einem Angriff getötet
In der Vorschule: Die Erzieherin Veronica Jones mit der fünfjährigen Salomy

Es hat lange gedauert, bis seelische Verletzungen durch Krieg, Flucht und Vertreibung anerkannt wurden. Noch im ersten Weltkrieg wurden in Deutschland Soldaten nach einem Schock im Kampf als „Kriegszitterer“ verspottet und wieder zurück an die Front geschickt.

Erst die Holocaust-Forschung hat die ganze Dimension traumatischer Erlebnisse und ihre anhaltenden Folgen erfasst, „denn ein traumatisierter Mensch“, so die Psychotherapeutin Sibylle Rothkegel, „leidet nicht nur unter post-traumatischen Stress-Symptomen wie Albträume, Schlaflosigkeit und  Angstzustände, sondern gibt seine Ängste an die nächste Generation weiter“.

Sibylle Rothkegel, vormals Mitbegründerin und Direktorin des Zentrums für Folteropfer in Berlin, lernen wir in Sierra Leone kennen. Sie leitet dort seit einem Jahr das „Trauma and Recovery Program“ (TAR), das von ihr und einem Expertenteam von Caritas international (Ci) für die Zeit nach einem Krieg entwickelt wurde. Das Programm richtet dabei den Focus gezielt auf die Jüngsten der Gesellschaft, auf Vorschulkinder, die den Krieg nicht bewusst erlebt haben oder erst nach dem Krieg geboren wurden. Der Grund: traumatische Erfahrungen der Eltern übertragen sich als Transgenerationseffekt auf ihre Kinder und Kindeskinder. In den gesamten Prozess des TAR – Programms sind deshalb auch die Eltern, Geschwister und Erzieherinnen einbezogen.  

Sibylle Rothkegel zum Hintergrund von TAR: „Ohne Traumaarbeit  ist die Gefahr groß, dass sich die Leiden der Traumatisierten in die nächste Generationen fortsetzen, und dass gerade die nächsten Generationen dann die sind, die sich für ihr Leiden rächen wollen und damit die Opfer-Täter-Spirale und mit ihr die Spirale  der Gewalt fortsetzen“.

Über mehrere Wochen können wir die Arbeit von Sibylle Rothkegel filmisch begleiten. Wir erleben, wie die 5jährige Salomy unter den gleichen Angstsymptomen leidet wie die Tante, bei der sie nach der Ermordung ihrer Eltern jetzt lebt - obwohl sie den Grund dieser Angst, den Krieg, gar nicht selbst miterlebt hat.

Wir werden Zeuge der „Flashbacks“, von denen Veronica Jones - die Erzieherin von Salomy - immer wieder heimgesucht wird. In einem therapeutischen Einzelgespräch mit Sibylle Rothkegel brechen plötzlich Bilder in ihr hoch, die sie nicht mehr kontrollieren kann. Intrusionen nennen das die Psychologen - Bilder der Seele, die so lebendig sind, als wären sie real da. Weltweites Entsetzen löste die Praxis der Revolutionary United Front (RUF) aus, Zivilisten Arme und Hände abzuhacken. Der zehnjährige Krieg in Sierra Leone, der zu den grausamsten auf dem Kontinent zählt, lebt noch immer in den Erinnerungen der Menschen fort.  

Veronica Jones weiß, dass sie ihre eigenen Traumata bearbeiten muss, um ihre Ängste nicht länger ungewollt auf die ihr anvertrauten Kinder zu übertragen. In den Workshops des TAR-Programms dokumentieren wir die einzelnen, oft schmerzhaften Schritte der Vorschulerzieherinnen, sich von der Last der eigenen schrecklichen Erinnerungen zu befreien. Dies geschieht in Rollenspielen und in Gruppen – und Einzelgesprächen mit Sibylle Rothkegel. Die Erzieherinnen lernen, Auffälligkeiten bei Kindern zu erkennen, auf die sich bereits die Traumata ihrer Eltern oder älteren Geschwister übertragen haben – wie bei der kleinen Salomy. „Manchmal ist Salomy gegenüber den anderen Kinder aggressiv“ , erzählt Veronica Jones, „dann wendet sie sich wieder von allen ab -  ist völlig abwesend und entrückt und taucht in eine eigene Welt ein“. 

Besonders schwer tun sich die Frauen, über Erlebnisse zu sprechen, die bis heute im Land Tabuthemen sind: Vergewaltigungen oder der Vorwurf der „Kollaboration mit dem Feind“. Viele Frauen mussten sich mit den Rebellen „arrangieren“, um ihr Leben und das ihrer Familie zu retten - und werden dafür heute von der Gesellschaft verachtet.  

Das Resumee nach einem Jahr Arbeit mit dem TAR - Programm: „Die Frauen haben sich geöffnet“, sagt Annemarie Kandeh, Co-Trainerin des Programms für die Vorschulerzieherinnen. „Viele Frauen haben anfangs nichts gesagt, waren unfähig über ihre Erlebnisse zu sprechen. Jetzt können sie das mehr und mehr - manchmal weinen sie dabei - aber das hilft ihnen, über ihr Leid besser hinweg zu kommen.

Film von Johannes Gulde und Stefanie Landgraf
Produktion: Caritas international, Terra Media Corp.

Sprachfassungen: deutsch, englisch